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Reichenhaller Haus

Heimat mit Weitblick: Alltag in der höchsten Hütte der Chiemgauer Alpen

Das Reichenhaller Haus am Hochstaufen ist die höchstgelegene Hütte in den Chiemgauer Alpen. Gelegen zwischen Bayern und Salzburg sind die Ausblicke sagenhaft und die Tourenmöglichkeiten vielfältig. Zu Besuch beim neuen Pächter Daniel Peyerl.

Technisches Verständnis, soziale Kompetenz, Organisationstalent, Grundkenntnisse bei der Bergrettung, Spaß am Kochen und ein bisschen Anatomie und erste Hilfe wäre auch nicht schlecht – an diese Anforderungen vom DAV erinnert sich der Reichenhaller Daniel Peyerl. Seit der Saison 2024 führt er die Hütte als Alleinpächter, hat aber regelmäßig Hilfe von vielen Freunden und der Familie. Dass er einmal hier landen würde, hoch oben über seinem Geburtsort Bad Reichenhall, daran hätte der 40-jährige bis vor ein paar Jahren nicht geglaubt. So richtig lange hält es den Vagabunden nämlich nicht ein einem Ort.

Nach vielen Stationen zurück zu den Wurzeln

Seine berufliche Laufbahn begann Daniel Peyerl als Kfz-Mechaniker beim Autohaus Schnitzer. Von seiner Arbeit war man dort sehr überzeugt, sodass er nach der Ausbildung recht rasch die Motoren einer nationalen Nachwuchsrennserie betreute. Wie es dazu kam, kann er sich bis heute nicht wirklich erklären. „Ich war ein Rebell und bin auch mal im Bett geblieben, wenn mir zu Dienstbeginn noch nicht zum Aufstehen zumute war“, erinnert sich der 40-jährige. Nach einigen Stationen als selbstständiger und auch angestellter Chefmechaniker reiste Daniel Peyerl von Deutschland nach Holland und Belgien, wo er an der Rennstrecke als technischer Direktor arbeitete. Nebenbei hat er bei der Firma eines Bekannten noch PV-Anlagen montiert und so seine Höhenangst überwunden. Als es mit dem Rennsport zu Ende ging, unterstützte er seine Mama als Hausmeister im Tierheim in Freilassing und entwickelte dort mal eben ein neues System für die Quarantäneabteilung.

Als 2015 die erste Flüchtlingswelle aufkam, wollte er eigentlich nur den an der Grenze wartenden Menschen etwas zu trinken bringen. „Auf einmal war ich Koordinator der freiwilligen Helfer. Das war aber nichts Langfristiges für mich.“ Und so entschied sich Peyerl nach ein paar weiteren Stationen dazu, einer Freundin bei Umbau, Planung und Betrieb ihres Hotels in eine Flüchtlingsunterkunft auf Sizilien zu unterstützen. Nach gut einem Jahr war auch dort Schluss und Daniel Peyerl setzte sich in seinen Fiat Doblo mit Matratze hinten drin und fuhr für drei Monate nach Sardinien. Heimgekommen ist er dann unter anderem wegen der Beerdigung seines Stiefvaters und des Opas. „Dort hat mich ein Freund gefragt, ob wir das Reichenhaller Haus übernehmen wollen. Ich hab tatsächlich zwei anstatt normalerweise eine Nacht drüber geschlafen. Als ich ihm dann zugesagt habe, machte er wegen Familie und Job einen Rückzieher.“ Für Daniel Peyerl war das kein Grund, seinen Plan nicht durchzuziehen. Und so engagierte er Freunde und Familie, die ihm in Notfällen aushelfen würden. Zum Beispiel, wenn am Wochenende viel los wäre oder ihn jemand vertreten müsse, weil er bei einem Trailrun mitlaufen möchte. „Ich bin früher oft hier rauf gelaufen von Reichenhall aus. Sozusagen als mein Trainingsberg für Ultras, das sind lange Läufe länger als ein Marathon. Es gab zur Belohnung immer a Bier und so sollte es auch bleiben. Deshalb hab ich es übernommen.“

Hier oben auf über 1750 Metern kommt alles zusammen, was Daniel Peyerl über die Jahre gelernt hat: Computer, Technik, Handwerk, Organisation, mit Leuten umgehen und in den Bergen sein.

Harte Bedingungen für alle

Die Sonne hat eine enorme Kraft an diesem Montag Mitte Mai. Der Waldboden ist trocken, obwohl es die letzten Tage mehrere Stunden durchgeregnet hat. Die Regengüsse in der Umgebung hätten aber einen weiten Bogen um das Reichenhaller Haus gemacht, meint Daniel Peyerl. „Wassersparen ist angesagt! Leider nur eingeschränkte Bewirtung“ heißt es auf einem weißen Zettel, der an der Glasvitrine über der Speisekarte klebt. Trotzdem fragen einige Übernachtungsgäste, ob sie duschen könnten. „Ich lasse niemanden duschen, selbst wenn die Leute betteln oder es wirklich mal genug Wasser gäbe. Dadurch könnten auf den Schlag gut 400 Liter weg sein, weil sich die wenigsten wassersparend waschen. Zusätzlich fordern das dann auch alle anderen Gäste. Das Wasserproblem wird uns künftig sowieso beschäftigen, egal ob hier oben oder unten im Tal,“ meint Peyerl. Im Mai ist das Rechenhaller Haus in der Umgebung die einzige so hoch gelegene Schutzhütte, in der man schon übernachten kann. Die meisten anderen öffnen erst ab Juni, sobald der Schnee weg ist. Ein bisschen Schnee zum Schmelzen würde sich Daniel Peyerl aber wünschen. „Gerade habe ich so gut wie kein Wasser. In den letzten vier Tagen hatte ich insgesamt 140 Liter zur Verfügung. Da bleibt nicht mehr als ein Glas Wasser zum Zähneputzen für jeden“.

Das Regenwasser sammelt der Hüttenwirt von einer gerade mal 38 Quadratmeter großen Dachhälfte in fünf Tanks mit je 1100 Liter. Es wird dreifach gefiltert und mit UV bestrahlt. Eigentlich bräuchte der Hüttenwirt mindestens täglich 200 bis 300 Liter zum Kochen, Spülen, Händewaschen oder sich selbst einmal zu waschen. „Am besten wäre ein 30.000 Liter Speicher, dass man nicht bei jedem Handgriff überlegen muss, ob man sich noch waschen kann.“

Ursprünglich war zum Ende der Saison der Umbau der Hütte geplant. Nun wird es der Herbst 2026 werden. Dabei soll der denkmalgeschützte Teil aus Stein bleiben und jener aus Holz abgerissen und größer neu aufgebaut werden. Mehr Betten, mehr Komfort und mehr Dachfläche, um mehr Regenwasser zu gewinnen. Auch eine Kläranlage ist laut Peyerl dringend notwenig: „Hier wird ja seit über 100 Jahren in den Spalt geschissen. Deswegen muss das jetzt ordentlich gelöst werden.“ Aktuell heizt Peyerl mit einem Blockheizkraftwerk, zusätzlich gibt es noch eine Solaranlage für Strom mit Batterie. Beides ist aber schon so alt, dass die Kapazität kaum mehr ausreicht.

Die harten Bedingungen schränken auch die kulinarischen Möglichkeiten ein. Daniel Peyerl kocht einfache Speisen, die man gut aufwärmen kann. Da gibt es Würstl, Nudeln mit Bolognese oder die vegetarische oder vegane Variante mit Pesto aus frischer Petersilie. Die Schutzhütte gehört zur Kategorie 1, dem einfachsten Standard. „Ich hab keinen Dunstabzug, es ist nur eine Teilküche. Ich darf nur aufwärmen oder kalte Speisen anbieten, aber nichts mit Fett erhitzen“. Kuchen bäckt der Wirt nur, wenn das Wasser reicht. Im Holzofen ist man aber ohnehin nicht immer sicher, ob er auch gleichmäßig durch wird.

Schönste Ausblicke seit mehr als 100 Jahren

Der Hochstaufen zählt zu den beliebtesten Gipfeln der Chiemgauer Alpen. Seine Geschichte beginnt bereits Mitte des 17. Jahrhunderts, als die Menschen oben Bergbau betrieben. Damals soll es schon so etwas wie eine Schutzhütte gegeben haben, eindeutig bewiesen ist das aber nicht. Um 1902 baute man eine einfache Unterstandshütte, ehe diese 1908 von einer Rodelhütte ersetzt wurde. Ein Jahr später durfte der Wirt offiziell Getränke ausschenken. Und wieder ein Jahr darauf versetzte man die Hütte von der Nord- auf die Südseite, weil es Probleme mit dem Jagdpächter gab. Nach weiteren Um- und Aufbauten 1928 erhielt die Hütte schließlich 1974 ihr heutiges Aussehen.

Der erste Wirt vom Staufenhaus war Georg Schwarzenbach, den man auch Meisei nannte. Er führte die Hütte von 1909 bis 1949. Noch heute hängt sein Porträt in der Gaststube. Er trägt ein weißes Hemd, darüber eine dunkle Weste. Die Ärmel hat er hoch gekrempelt und verschränkt, sodass seine hagereren, von Sehnen durchzogenen, trainierten Unterarme gut zur Geltung kommen. Ein bisschen erinnert seine Statur an die von Daniel Peyerl.

Zustiege auf den Hochstaufen gibt es viele, zum Beispiel den anspruchsvollen Pidinger Klettersteig, der in Urwies startet oder den etwas ausgesetzten Steinernen Jäger. Einfachere Routen führen über den Normalweg vom Ortsteil Nonn oder vom Frillensee in Inzell nach oben. Je nach Kondition und Schwierigkeitsgrad braucht man zwischen zweieinhalb und vier Stunden nach oben. Manche schaffen es auch schneller, andere brauchen etwas länger. Egal welchen der Wege man wählt, Erfahrung im steinigen Gelände sowie Trittsicherheit sind ein Muss. Und man sollte unbedingt den Wegmarkierungen folgen. Denn so mancher hat sich schon beim Abstieg zwischen den Latschen verirrt, meint Daniel Peyerl. Wer den Gipfel erreicht, wird mit einer beeindruckenden 360-Grad-Rundumsicht belohnt. Nach Süden blickt man in die Weiten des Salzburger Seenlandes und die umliegenden Gipfel wie den Schafberg. Im Osten erheben sich die Berchtesgadener Alpen mit dem Watzmann sowie der breite Rücken des Untersbergs, hinter dem der Dachstein sowie die gesamte Kette der Radstädter-und Schladmiger Alpen mit ihren Felszacken hervorstechen. Dreht man sich weiter südlich, beginnen die östlichen Chiemgauer Alpen, ehe die Weite im Westen den Blick auf den Chiemsee freigibt. Die wenigsten Übernachtungsgäste kommen direkt aus der Region. „Typisch sind eigentlich die Isarpreissn“, sagt Peyerl und lacht. Aber es kämen auch Leute von noch weiter weg, die hier allein wegen Sonnenauf- und Untergang bleiben. Denn der ist malerisch. Eine klassische Zwischenstation für mehrtägige Touren ist der Hochstaufen nicht. Die meisten gehen rauf und wieder runter. So wie die sechsköpfige Gruppe Österreicher, die sich einmal im Jahr zur Hüttentour trifft. An diesem Tag Mitte Mai haben sie sich für das Reichenhaller Haus entschieden und fühlen sich sichtlich wohl. „Bei uns gibt es noch immer die klassischen Hüttennächte wie früher, in denen viel getrunken wird und die Leute einfach a Gaudi haben. Manchmal wird’s auch später als 22 Uhr, vorausgesetzt, es stört sich niemand daran. Ich vermute, mit der Gruppe wird’s heute bissl länger“, meint Peyerl, lacht und wirft einen kurzen Blick auf die Männergruppe. Er steht in der Küche und ist gerade dabei, das Abendessen anzurichten. Zehn Teller sind es an diesem Abend. Kurz nach 18 Uhr läutet er mit seiner Glocke und signalisiert den Gästen, dass sie sich ihr Essen abholen können. „Lasst’s euch schmecken, all you can eat. Wenn’s Hunger habt’s, dann kommt’s einfach wieder.“

Während die Gäste in der Stube ihre Portionen genießen, räumt Daniel in der Küche etwas auf. Neben ihm liegt sein kleiner Mischlingshund Lumpi, den er damals aus Sizilien mitgebracht hat. Manchmal isst Daniel gemeinsam mit den Gästen, manchmal ist ihm eher nach Ruhe, so wie heute. Immerhin bewirtet er von April bis Oktober durchgehend Gäste. Einer aus der Männergruppe torkelt etwas angetrunken aus der Stube und verlangt Nachschlag. 17 Euro kostet das Abendessen, egal wie viel man isst. Später nimmt er sich noch einmal Nachschlag und dazu Schnaps für alle.

Wenn die Saison vorbei ist, will Daniel Peyerl wieder weg. Nach Thailand, Südostasien oder Südamerika. Mit Deutschland hat er es nicht so. Außer am „Staffa“, da ist die Welt eine andere. Hier kann er sich alles so zurechtlegen, wie er es gerne möchte. „Hier oben bin ich angekommen. Sonst hab ich es nirgends länger als halbes Jahr ausgehalten. Aber nachdem ich hier nach einem halben Jahr Vollgas wieder Pause machen kann, ist das die Station wo ich bleiben möchte.“