Toni Lenz Hütte
Eine große Bergfamilie
Zwischen Latschen, bunten Bergblumen und felsigen Steigen liegt die Toni-Lenz-Hütte – ein Refugium am Untersberg. Hier oben treffen ehrliche Küche und Menschen mit Herz aufeinander. Ein Besuch zeigt, warum diese kleine Hütte weit mehr ist als nur ein Rastplatz auf 1.450 Metern.
„Toni, no a Kaiserschmarrn“ – ruft Hansi Kranawetvogl vom kleinen Tresen nach hinten in die Küche. Dort schlägt seine Kollegin eifrig mit dem Schneebesen noch mehr Teig auf. Eigentlich hatte sie gerade fünf Portionen vorbereitet, aber nicht einmal nach einer Viertelstunde muss Nachschub her. „Heid is wirklich guad was los“, sagt die junge Kollegin mit den kurzen blonden Haaren, während sie im Akkord Eier, Milch und Mehl verrührt. Neben Kaiserschmarrn bestellen die Gäste heute Wurstsalat, Kaspressknödel und Brotzeit. Mit so viel Ansturm hätten die beiden trotz Wochenendbeginn gar nicht gerechnet. Immerhin drängen sich dichte Wolken immer wieder vor die Sonne, zwischendrin pfeift ein eisiger Wind. Man merkt, dass es in den höheren Lagen ein paar Tage zuvor geschneit hat. Nicht ungewöhnlich für Juli. Der Watzmann ist angezuckert, wie man sagt, aber den sieht man von hier aus gar nicht.

Hier, das ist die Toni-Lenz Hütte am Untersberg. Gut 20 Minuten braucht man von der Hütte zur berühmten Schellenberger Eishöhle – das Ziel vieler, die hier oben sitzen.
Eine bunte Mischung aus Familien, Freundesgruppen und einzelnen Bergsteigern, die meisten sind Urlauber, trifft sich auf der Terrasse. Dazwischen ein paar Einheimische, die mehrmals die Woche aufsteigen und den Hansi gut kennen. Zum Beispiel Werner aus Salzburg, der am Vormittag schnell eine Bergrunde dreht, ehe er in die Arbeit muss. „Ich bin mindestens einmal die Woche oben, schatz bissl mitm Hansi, trinke und esse was und bin a dabei, wenn’s was zum helfen gibt.“ Das sagenhafte Panorama wirkt fast kitschig: Dachstein, Tennengebirge, Bischofsmütze, Hoher Göll – beeindruckend breitet sich das ganze Salzburger und Teile des Berchtesgadener Landes vor einem aus.

Hüttenwirt Hansi ist heute erst wieder aufgestiegen. Er hat am Vortag den Müll verliefert, den der Hubschrauber ins Tal gebracht hat. Seit letztem Jahr hat der gebürtige Marktschellenberger die Hütte gepachtet, gemeinsam mit seiner Frau Angela. Die ist allerdings selten oben, weil sie unten im Tal Vollzeit im Schichtdienst arbeitet. Kennengelernt hat sich das Paar am Kärlinger Haus, wo Hansi auch mal gearbeitet hat. Seither war es der Traum der beiden, die Toni Lenz Hütte zu übernehmen. „Ois gebürtiger Schellenberger gibts’s ja nix schenas, ois dahoam a Hüttn zu bewirtschaften. Und des hab i jetz“, sagt er und grinst über’s ganze Gesicht. Der bald 55-jährige kommt seit seiner Kindheit hier hoch, mindestens einmal im Jahr zur Bergmesse. Mit 17 hat er den Weg für den andere zwischen eineinhalb und drei Stunden brauchen, in 50 Minuten geschafft. „Damois war i spat dro, hab dacht i kim ned rechtzeitig zur Mess und bin sehr schnell ganga, aber ned glaffn.“ Heute geht er auch noch zu Fuß, aber eher gemächlich. Nach einem schweren Unfall, bei dem er sich mehrere Wirbel gebrochen hat und mit zwei künstlichen Hüften tut man sich nicht mehr so leicht. „Und mit knapp 30 Kilo Übergwicht a ned“, lacht er. In seinen Dreißigern war der Hansi noch fit, ist in einer guten Saison zwischen 40 und 50 Skitouren gegangen. Zum Kärlinger Haus brauchte er vom Königssee gute zwei Stunden. Offiziell ist die Tour mit fünf angegeben.

Wehmütig ist er aber nicht, dass er es nicht mehr so schafft wie früher. Eher macht er sich einen Witz daraus und hat schon länger eine Idee im Kopf: Ein Wettrennen veranstalten unter dem Titel Schneller als der Wirt. Aber es sollen dieselben Bedingungen für alle gelten. „Jeder muas 100 Kilo trogn. Entweder so wia i, der so vui wiegt, oder ma muas hoid so vui auflon, dass ma auf’s Gwicht kimt“, scherzt er, während er frische Kaspressknödel aus der Gefriertruhe holt. Neben ihm steht sein Freund Werner, der die Idee ebenso feiert wie er. Und wer gewinnt, kriegt a Maß Bier, beschließen die beiden.
Wo die Herzlichkeit wohnt
Der Aufstieg zur Toni-Lenz-Hütte ist für viele Sportler ein Trainingsberg. Auch Hansis Freund Sepp aus Salzburg schafft die Strecke in unter einer Stunde. Heuer wird er 60. Weniger geübte haben oft ganz schön zu kämpfen. Immerhin verlangt einem der Aufstieg einiges ab. Gut 950 Höhenmeter auf knapp sechs Kilometer sind es vom Parkplatz beim Salzturm in Marktschellenberg bis zur Hütte. Die erste Hälfte des Weges führt über eine Forststraße, der zweite Teil ist ein schmaler Pfad, teils steinig und felsig mit hohen Tritten. Aber idyllisch ist er, der Weg nach oben. Oberhalb der Latschen blühen bunte Alpenblumen wie der blaue Eisenhut, die bärtige Glockenblume oder das Geschnäbelt Läusekraut. Fast durchgehend führt der Weg am Lochgraben entlang. Ein Bach, dessen Quelle oben bei der Hütte entspringt. Wer also möglichst wenig Gepäck mitnehmen will, dem reicht eine faltbare Trinkflasche, die man unterwegs immer wieder auffüllen kann. Ein kluger Schachzug von Toni Lenz und Thomas Eder, die Hütte 1936 genau hierher zu bauen. Die Toni-Lenz-Hütte und die Schellenberger Eishöhle sind eng miteinander verbunden. 1925 gründeten Thomas Eder und Toni Lenz in Marktschellenberg den Verein für Höhlenkunde. Sie waren es, die die Eishöhle für die Öffentlichkeit zugänglich machten. Dafür bauten sie zwei Wege zur Eishöhle und einen Felsensteig von der Mittagsscharte mit Durchgängen und Treppen – benannt nach Thomas Eder. Die Hütte bewirtschaftete Toni Lenz, der zu einem der beliebtesten Hüttenwirte des gesamten Berchtesgadener Landes zählte. Legendär waren sein Kaiserschmarnn, die Erbsensuppe und die selbstgemachte Heringsbutter. Nicht nur wegen seinem Essen, auch wegen der lieben und herzlichen Art verlieh man der Hütte 1950 seinen Namen.
Inzwischen ist es kurz vor Mittag. Toni und Hansi haben die Plätze getauscht. Er steht in der Küche, während sie Getränke ausschenkt, Bestellungen aufnimmt und kassiert. „Eine dritte Person wär heut scho guad, aber es geht scho“, sagt Toni gelassen, während sie ein Bier nach dem anderen zapft. Die Traunsteinerin ist erst seit Anfang Juli hier oben, arbeitet aber, als hätte sie nie etwas anderes gemacht, meint Hansi. „Sie macht des super, des derf ma ruhig moin sogn.“ Gut einen Monat bleibt Toni oben, ehe sie den restlichen Sommer unten genießen will. Eine Pause gibt es für die beiden an diesem Tag kaum und doch ist da ein Moment, an dem sie alles stehen und liegen lassen. Ein Gast aus Sachsen hat ein kleines Jagdhorn mitgebracht und will den Leuten etwas vorspielen.


Andächtig stehen Gäste, Freunde, der Wirt und Toni vor der Hütte, während der drahtige Mann in Lederhose und Filzhut in sein Horn bläst. Die sanften Töne ziehen weit hinein in das Berchtesgadener und Salzburger Land. Als Dank gibt es einen Zirbenschnaps. „Wundersche is sowas. I frei mi, wenn de Leit sowas machen“, sagt Hansi, ehe er sich dem nächsten Kaiserschmarrn widmet.
Gelernt hat Hansi das Kochen nicht, sondern über die Jahre selbst beigebracht. „I war zwölf Jahr lang Junggeselle, da muss ma si selber z’helfen wissn“. Für die Hütte macht er Speck, Kaminwurzen und Grammelschmalz im Winter selbst und friert es ein. Genauso die Kaspressknödel. Wichtig ist ihm, dass alles von daheim kommt. Das Rindfleisch vom Nachbarn in Schellenberg, wo er die Kühe beim Namen kennt. Das Brot holt er von der Bäckerei Ebner aus Niederalm, den Käse vom Pötzelsberger, Gemüse kommt vom Gemüsebauern aus Wals, der Schnaps vom Grassl und das Bier natürlich auch aus der Region. „Ma konn sogn, dass ois wos ma bei mir herom isst und trinkt quasi rund uman Untersberg wachst.“

„Was ma ned im Kopf hat, hat ma in de Fiaß“
Zur Toni Lenz Hütte führt keine direkte Seilbahn oder Straße. Die gesamte Verpflegung bringt ein Hubschrauber, der etwa alle sechs Wochen einmal fliegt. Auch der Diesel, der den Stromgenerator antreibt, muss nach oben geflogen werden. Die paar Solarpaneele am Dach reichen dafür nicht. Hansi hofft, dass man irgendwann darauf verzichten kann und die Hütte nur mit Sonnenstrom betreibt. Immerhin muss sich der Hüttenwirt um die Wasserversorgung keine Gedanken machen. Die Quelle neben der Hütte bietet reichlich Frischwasser. Eine Dusche für die Gäste gibt es oben trotzdem nicht. Dafür eiskaltes Bergwasser, das für eine Katzenwäsche ausreicht, wenn man es denn aushält. Mitdenken, planen und koordinieren sind wesentliche Aufgaben von Hansi und seiner Frau Angela. Falls zwischenzeitlich etwas ausgeht, muss es eben hochgetragen werden. Da bekommt der Ausdruck Was ma ned im Kopf hat, hat ma in de Fiaß, eine ganz wesentliche Bedeutung, meint Hansi und lacht. Zum Glück kann der Hüttenwirt auf ein gutes Netzwerk an Freunden und Bekannten zählen. Seinen Freund Gernot nennt Hansi zum Beispiel liebevoll den Eiermann. Der hat mit seinem Rucksack schon drei mal 400 Eier nach oben getragen und kein einziges ist kaputt gegangen. Oder der schnelle Sigi, der hat ihm heuer schon 25 Kilo Kartoffeln und insgesamt zehn Liter Essiggurkengläser mitgenommen. „Meine Leit san der Wahnsinn, ohne de dad nix geh.“
Für das Holz hatte sich ein Freund von Hansi ein Spiel überlegt. Etwa bei der Hälfte des Weges, dort wo auch die Höhlenforscher ihre Fahrzeuge parken, steht ein Holzstapel. Jeder, der ein Scheitel mit nach oben nahm, durfte nach Abgabe ein Los ausfüllen. Vor kurzem wurde gezogen. Der erste Preis war eine Übernachtung für zwei Personen inklusive aller Getränke und Essen. Der zweite Preis ein Mittagessen und ein Getränk für zwei und der Dritte Preis eine Maß Weißbier.


Und dann gibt es da noch einen Briefkasten, kurz nach dem Holzstapel. Ein Relikt aus Hansis Zeiten als Postbote und heute Symbol der Hilfsbereitschaft der Wanderer. „Bitte mitnehmen. Sachen für die Toni Lenz Hütte. Danke.“ Steht auf einem weißen Schild geschrieben. Daneben ein Haken, an dem manchmal wichtige Dinge für die Hütte hängen. Wer noch Platz im Rucksack hat, darf etwas mitnehmen. Natürlich alles freiwillig. Dafür gibt es oben einen Schnaps oder eben was anderes, was man mag. „Des funktioniert einwandfrei, aber natürlich gibt’s immer wieder Leit, de si drüber aufregn, dass i do andere scheinbar für mi oabatn lass“, sagt Hansi. Tatsächlich bekam er kürzlich eine negative Bewertung eines Münchners, der sich über die zu hohen Preise für Essen und Trinken beschwerte, zumal sich der Wirt doch auch noch von den Gästen seine Sachen tragen lasse. Ein bisschen hat sich Hansi schon darüber geärgert und ihm auch auf seine Bewertung geantwortet. „Blede Leit gibt’s einfach immer, aber bei uns herom sans Gott sei dank vui weniger als heruntn."
Zweimal pro Woche will Hansi trotzdem nach unten gehen, allen voran wegen seiner Frau und den drei Kindern – neun, zehn und zwölf Jahre alt. Am Wochenende und in den Ferien sind die drei meistens oben, außerhalb der Ferienzeiten kümmert sich überwiegend die Schwiegermutter. „So gern i des do herom mach, bei Familie is ma nu immer as wichtigste. Und wenn des moi nima so funktioniert unten, dann miass ma eh schauen, wie ma des hikriang.“

„Alexa, Timer auf eine Minute!“ Während im Ofen Kaspressknödel brutzeln, streut Hansi Zucker auf den Kaiserschmarrn, damit der schön karamellisiert. Es riecht nach Zimt, frischem Speck und Zirbenschorle. Im Hintergrund der Radio, Oldiewelle Niederbayern. „Unsere Gute-Laune-Musik“, sagt Toni und lacht, während sie den Gästen frische Zirbenschorle nach draußen reicht. Dort steht noch immer eine Schlange mit Gästen, die bestellen oder ein Los für das Holzscheit abholen möchten. Andere kommen durch die Gaststube, um sich für die Übernachtung anzumelden. „Grod hab i ned so dawei“, sagt Hansi ganz herzlich aber bestimmt „Stellt’s einfach mal eire Rucksäcke ab und kommt’s nach vorn zum Tresen“. „Ois guad“, sagen die drei Damen, die dem Dialekt nach aus Niederbayern kommen „Wir ham a Holz dabei und wollen eh erst amoi wos essen“.
